28.07.2016: Wegweisendes Modell zur medizinischen Grundversorgung

Unter dem geschützten Label «MediZentrum» wurden im bernischen Seeland fünf interprofes­sionelle Grundversorgungseinheiten. ­Unsere Fragen beantwortet Dr. med. Grégoire ­Pfander im Medi­Zentrum Schüpfen.

Vitodata: Welche Unternehmensphilosophie steht hinter dem MediZentrum, und was waren die ­Auslöser zu der gewählten Organisationsform?
Dr. med. Grégoire Pfander: Als Folge der demo­grafischen Entwicklung steigt der Anteil betagter und hochbetagter Menschen. Neben rüstigen Seniorinnen und Senioren verzeichnen wir immer mehr chronisch Kranke. Das durchschnittliche Alter der Grundversorgerinnen und Grundversorger ist über 53 Jahre. Die mittelfristige Versorgung durch Hausärztinnen und Hausärzte ist ohne Gegensteuer gefährdet. In der Medizin zeigt sich eine zunehmende Feminisierung der Fachpersonen. Daraus ergibt sich der Bedarf nach Teilzeitstellen und flexiblen Arbeitszeitmodellen – natürlich auch für Familienväter, welche als Hausärzte tätig sind.

Ist das Berufsbild der Grundversorgerin resp. des Grundversorgers noch attraktiv genug?
Die Attraktivität muss verbessert werden. Es braucht eine Verlagerung von schwer­gewichtiger Triage- und administrativer Arbeit hin zu erweiterten Kompetenzen in Diagnostik und Be­handlungen (Ultraschall, einfache Endoskopien, Belastungs- und Langzeit-EKG, Infiltrationen etc.). Dafür müssen einfachere resp. standardisierte ­Aufgaben delegiert werden können. Dazu haben wir bei uns ANPs angestellt (advanced nurse practitioner). Das sind Pflegefachfrauen mit erweiterten Kompetenzen und einem Master-Abschluss. Die ANPs übernehmen wichtige Teile bei der Betreuung der oben erwähnten chronisch Kranken.

Sie stellen Ihre Infrastruktur und Ihr Fachpersonal sogenannten Konsiliar-Ärztinnen und -Ärzten zur Verfügung. Wie funktioniert das?
Wir pflegen einen etablierten Kontakt zu Spezia­listen, welche ihre Behandlungen bei uns im ­Medi­Zentrum durchführen. Für die Patientinnen und Patienten bedeuten diese Konsiliar-­Ärztinnen und -Ärzte einen Convenience-Aspekt: Auf Fahrten in weiter entfernte Spezialpraxen kann verzichtet werden. Es wird geschätzt, dass der ­Besuch der Spezialisten in der gewohnten Haus­arztpraxis, also im MediZentrum und mit bekanntem Fachpersonal, erfolgen kann. Diese ­interdisziplinäre Zusammenarbeit erlaubt zudem einen direkten Austausch zwischen ­Grundversorger und Spezialisten: Über die ­elektronische KG und meist auch noch mündlich, bei Bedarf direkt mit dem oder am Patienten. Nicht zuletzt bedeutet diese Form der Zusammenarbeit eine kontinuierliche fachspezifische Fortbildung, vor allem der jüngeren Grundversorger-Generation.

Eine interessante Besonderheit: In Ihrem ­Organigramm sehen wir eine Geschäftsführerin. Was ist deren Funktion?
Unsere Ärztinnen und Ärzte – im Fall von Medi­Zentrum Schüpfen handelt es sich um acht Mediziner – können sich dank dieser Organisation auf die medizinischen Leistungen konzentrieren. Ab­rechnungswesen, Buchhaltung, Bewirtschaftung von Infrastruktur und Verbrauchsmaterial, An­stellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werden durch unsere Geschäftsführerin gesteuert und überwacht. Als Arzt muss ich mich nicht um diese Sachen kümmern.

Was bedeutet das MediZentrum Modell für Sie als junger Allgemeinmediziner?
Eine Tätigkeit als klassischer Hausarzt und als Einzelkämpfer mit Tag- und Nachtbetrieb hätte ich mir nicht vorstellen können. Vielleicht wäre ich dann lieber als Arzt in einem Spital ­tätig ge­blieben. Im MediZentrum schätze ich die ­Entlastung von berufsfremden Tätigkeiten und den fachlichen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen. Idealerweise hat sich hier die Möglichkeit ergeben, dass sich meine Frau, ebenfalls Medi­zinerin, nach dem Mutterschaftsurlaub in Teilzeit wieder ins Berufsleben integrieren konnte. Es sind solche Vorteile, die dazu geführt haben, dass im Berner Seeland weitere MediZentren ent­standen sind (in Lyss, Messen, Ins und Täuffelen).

Die MediZentrum Gruppe war massgeblich und als treibende Kraft für die Verwirklichung der medizinischen Monitore in vitomed verantwortlich.
Neben der individuellen Betreuung unserer Pati­ent­innen und Patienten braucht es, ­insbesondere für chronische Erkrankungen (wie z.B. für Dia­betes) standardisierte Über­wachungs- und ­Behandlungspfade. Basis dazu bilden Guidelines, welche wir im SeelandNet (Ärztenetzwerk des Bieler Seelandes, seelandnet.ch) zu­sammen mit Fachärztinnen und Fachärzten erarbeitet ­haben und regelmässig updaten – wie soeben die ­Diabetes-Guidelines. Auf diese Weise stehen ­zeitgemässe und übersichtliche Arbeitsinstrumente zur Verfügung. Daraus lassen sich in der Folge standardisierte Prozesse delegieren, wie eben an unsere ANPs.

Können Sie uns die praktische Nutzung des Diabetes-Monitors beschreiben?
Der Diabetes-Monitor ist am weitesten ausgreift. Es handelt sich um eine interaktive Arbeitsplattform im vitomed in Form eines «Ampel­systems». In einem ersten Schritt können unsere ANPs die erhobenen Eckdaten direkt einfügen. Dies ­erlaubt uns, in einem zweiten Schritt einen raschen Überblick zu gewinnen, mit dem Patienten nötigenfalls zu besprechen und eventuelle Therapie­­­­an­passungen vorzunehmen. Die Zusam­­­menfassung wird direkt im elektronischen KG-Verlauf aufgenommen. Ich, als ­behandelnder Arzt, kann jederzeit in den Diabetes-Monitor ­«hineinspringen»; z.B. wenn ein Patient oder eine Patientin en passent erwähnt, dass er oder sie zwischenzeitlich beim Augenarzt war und alles i.O. ist. Übrigens: die standardisiert er­hobenen Daten könnten in Zukunft auch der Versorgungforschung dienen. Wir sehen auch für die Zukunft weitere Entwicklungsmöglichkeiten für den Einsatz medizinischer Monitore.

Vitodata: Wir danken Ihnen für die konstruktive Zusammenarbeit und für das Gespräch. Ihnen und Ihrer jungen Familie wünschen wir alles Gute.

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